Tillie was here!

Graphic Novels oder Comics (zwei Begriffe, gleiche Bedeutung) haben hierzulande immer noch einen recht schwierigen Stand, gelten sie doch als etwas für Kinder, im Vergleich zum Buch gar als eher anspruchslos. Wer sich auch nur ansatzweise mit dem Genre auskennt oder sich einmal darauf eingelassen hat weiß, dass dem nicht so ist. In den USA hingegen sind Comics nicht nur populär und erreichen hohe Verkaufszahlen, sondern sind auch fester Bestandteil von Lehrplänen in Schulen.

Eine tolle Gelegenheit der Begegnung mit einer „echten“ Comic-Autorin bot sich dem Leistungskurs Englisch Q1 von Herrn Ballaera am Dienstag, den 27.11.2018: Tillie Walden, „Shooting Star“ der Comic-Szene war auf Lesereise und zu Gast in Frankfurt. Die Chance mit Schülern in Kontakt zu kommen und eine deutsche Schule mal von innen zu sehen, wollte sie sich hierbei nicht entgehen lassen.

Tillie Waldens aktuelles, mit dem Eisner-Award prämiertes und bereits sechstes (!), diesmal autobiographisches Werk, heißt „Pirouetten“ (Spinning im Original). Walden beschreibt darin ihre Jugend, die geprägt war durch den Leistungssport aber auch von Zweifeln und Ängsten ob ihrer sexuellen Orientierung. Ihr Coming-out nimmt daher einen zentralen Platz in ihrer Erzählung ein.

Einen Zugang zu ihr zu finden ist einfach. Sie sprüht vor Lebensfreude und hat einen herrlichen Humor. Mit 22 Jahren ist sie natürlich selbst noch nah dran an der Lebenswelt der Schüler. Die ernste, nachdenkliche, gar kritisch und politisch engagierte Tillie versteckt sie aber auch nicht. Offen positioniert sie sich zur Trump-Regierung und erzählt von ihren Erfahrungen, die sie gemeinsam mit ihrer Mutter als Wahlkämpferinnen für Hillary Clinton machte.

Begleitet wurde der Besuch von Jakob Hoffmann und der Lektorin Wiebke Helmchen vom Reprodukt Verlag. Beide zeigten und lasen zu Beginn eine längere Passage des Comics Pirouetten der deutschen Ausgabe. Tillie Walden erzählte im Anschluss von ihrem Leben als dem Drill ausgesetzte Eiskunstläuferin, die dann ihr Talent fürs Zeichnen und mit Comics schließlich ihre Passion fand. Anstoß für die damals eher schüchterne und inmitten der Pubertät steckende Tillie war ihr Vater, der sie einfach bei einem Comicworkshop anmeldete. Tillie Walden hatte sich bis dahin wenig mit ihrer Zukunft auseinandergesetzt, meinte aber, sie wäre wohl so etwas wie eine Rezeptionistin oder Sekretärin geworden. Glücklicherweise kam es anders! Inspirierend wirkt ihr Mut Dinge anzupacken, Träume zu verfolgen und zur eigenen Identität zu stehen. Ehrlich aber auch, dass sie nicht sagen kann, ob sie für immer Autorin sein wird oder irgendwann doch mal etwas ganz anderes machen möchte. Putzfrau im Hotel war sie schon, es habe ihr viel Freude bereitet. Die abschließende Fragerunde zeigte wie sehr die Schüler Interesse an Tillie Walden und Ihrem Schaffen gefunden hatten. Sie ließ es sich auch nicht nehmen, eine Kostprobe ihres Könnens zu geben, unter anderem wurde Herr Ballaera von ihr porträtiert. Auch aus diesem Grund sollte das Whiteboard in Raum 253 nun abmontiert, gerahmt und meistbietend (für einen guten Zweck selbstverständlich) versteigert werden.

Einen Dank an das US-Konsulat Frankfurt, das den Besuch von Tillie Walden unterstützte.

Text: Carsten Herold; Fotos: Carsten Herold und Jakob Hoffmann (6.12.2018)

Veröffentlicht in: Europa