Mut zu Europa - Nein zu Rassismus und Antisemitismus
Europawoche zu Sophie Scholl und gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit
In der jährlich stattfindenden Europawoche stehen an der Ziehenschule Themen rund um Diversität, Toleranz, Zusammenleben und Demokratie auf der Agena.
Hakenkreuzschmierereien an der Ziehenschule waren nur ein Grund dafür, den Fokus der diesjährigen Europawoche (3.-12. Mai 2021) auf die Themen Antisemitismus, Rechtsextremismus und Rassismus zu legen; ein weiterer war der 100. Geburtstag der 1943 durch Nationalsozialisten hingerichteten Widerstandskämpferin Sophie Scholl, der am 9. Mail 2021 gewesen wäre. In der jährlich stattfindenden Europawoche stehen an der Ziehenschule Themen rund um Diversität, Toleranz, Zusammenleben und Demokratie auf der Agenda. Dabei fand die Europawoche wegen der Corona-bedingten Einschränkungen hauptsächlich als online Veranstaltungsreihe statt.
Den Beginn der Reihe markierte ein Vortrag von Sven Daniel, der im Landesamt für Verfassungsschutz das „Kompetenzzentrum Rechtsextremismus“ leitet. Herr Daniel referierte zur „Symbiose“ zwischen Querdenken-Demonstrationen und dem organisierten Rechtsextremismus sowie zur „‘neuen‘ Rechten“. In seinen Vorträgen erklärte er auch, wie das Landesamt für Verfassungsschutz auf die Gefahren reagiert, die heute vom Rechtsextremismus ausgehen.
Die FilmemacherInnen Ilana Goldschmidt und Adrian Oeser beantworteten Fragen zu ihrem 2020 erschienen Film „Jüdisches Leben in Frankfurt seit 1945“ (externer Link). Die Schüler:innen erfuhren dabei etwas über jüdische Identitäten und darüber, wie dieses Selbstverständnis immer noch von der Shoah – der organisierten, massenhaften Vernichtung von Jüdinnen und Juden während des Zweiten Weltkriegs – beeinflusst wird. Zudem diskutierten die Schüler:innen untereinander und mit den Referent:innen darüber, in welchem Verhältnis Antisemitismus und (auch anti-muslimischer) Rassismus zueinander stehen.
In einem Autorengespräch berichtete der Wissenschaftler Maik Fielitz von seinem Buch „Digitaler Faschismus – die sozialen Medien als Motor des Rechtsextremismus“ (externer Link). Er erklärte, wie die sozialen Medien Hass und Hetze befördern und welche Mittel sich aus seiner Sicht aufdrängen, um auf diese Entwicklungen zu reagieren.
Anlässlich des 100. Geburtstags von Sophie Scholl am 9.5.2021 hat die Deutschen Post diese Gedenkmarke herausgegeben.
„Warum sind machen Menschen zum Widerstand fähig und andere nicht? Wer war Sophie Scholl? Wer waren die Menschen, die die sich dem nationalsozialistischen Unrechtsregime Hitlers entgegengestellt haben, um den Preis ihres eigenen Lebens?“ Diesen Fragen ging Frau Dr. Maren Gottschalk, Historikerin und Biographin Sophie Scholls, in ihrem Vortrag nach und gab anhand zahlreicher Bilddokumente Einblicke in Kindheit, Jugend und Studienzeit Sophie Scholls, in ihr familiäres Umfeld und ihren Freundeskreis, der zuletzt entscheidend geprägt war vom geistigen Austausch und den Aktivitäten der anderen Mitglieder der „Weißen Rose“. Vorbild und Beispiel, nicht „Ikone“ oder „Heldin“ kann Sophie Scholl uns heute sein, in ihrer vielschichtigen, durchaus auch in sich widersprüchlichen Persönlichkeit.
Ebenso brachte uns auch Herr Thomas Hartnagel (geb. 1947) seine Tante Sophie Scholl nahe – in einem sehr persönlichen, offenen (virtuellen) Gespräch: Herr Hartnagel, der erst nach ihrer Hinrichtung (22.02.1943) geboren wurde, kennt Sophie und Hans Scholl aus den Erzählungen seiner Eltern, Elisabeth Scholl-Hartnagel und Fritz Hartnagel, dem Freund Sophie Scholls, und seiner Großeltern, Lina (Magdalena) und Robert Scholl – in ihrem Elternhaus blieben Sophie, Hans und Werner Scholl, der im Krieg verschollene jüngste Bruder, gegenwärtig. „Allen Gewalten zum Trotz sich erhalten“ – dieses Goethe-Zitat prägte als Leitmotiv die Familie (von Hans Scholl vor seiner Hinrichtung an die Wand seiner Gefängniszelle geschrieben). Das Streben nach Freiheit und der Pazifismus waren Motive des Widerstands. Herr Hartnagel, Herausgeber des Briefwechsels zwischen Sophie Scholl und Fritz Hartnagel, berichtete eindrücklich über das (wechselvolle) Liebes-Verhältnis der beiden, über das (auch belastende) Erbe der Geschwister für die Familie und über die Rezeption des Widerstandskreises „Weiße Rose“ in der Geschichte der Bundesrepublik.
Denkmal für die Mitglieder der „Weißen Rose“ vor der Ludwig-Maximilians-Universität in München.
Eindrucksvoll war auch der (virtuelle) Besuch des im Ruhestand befindlichen Mainzer Pfarrers Dr. Dr. Klaus Harms (Jahrgang 1928). Manchen Schüler:innen ist er bereits aus einem Besuch vor knapp zwei Jahren bekannt. Dieses Mal referierte er über Sophie Scholl und den deutschen Widerstand. Als Zeitzeuge hat er selbst eine Kindheit und Jugend unter dem Hakenkreuz erleben müssen. So war es ihm möglich, das Leben und Wirken der Widerstandskämpferin unter besonderer Berücksichtigung eigener Eindrücke und Widerfahrnisse zu würdigen. Dass die Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit für die sog. „erste“ und „zweite“ Generation mit Schuld und Scham verbunden ist, dokumentiert auch der Film „Im Angesicht des Schweigens“ (2014), der die Genese der Frankfurter Auschwitzprozesse (1963-1965) dokumentiert. Der Schauspieler Hartmut Volle, der in einer Nebenrolle (Wärter in Auschwitz, nach dem Krieg Schulleiter des Frankfurter Goethe-Gymnasiums) zu sehen ist, weiß Spannendes über die Dreharbeiten zu berichten.
Schließlich informierte Frau Saba Cheema, pädagogische Leiterin der Anne-Frank-Bildungsstätte in Frankfurt (externer Link), in drei Workshops für 7.- und 11.-Klässler:innen anhand zahlreicher (historischer und aktueller) Bespiele über Formen und „Strategien“ von Rassismus und Antisemitismus und ging dabei auch auf den aktuellen Nahost-Konflikt ein.
Insgesamt war die Europawoche in diesem Jahr also nicht nur wegen der Pandemiebedingungen ein außergewöhnliches Event – sondern auch wegen sehr engagierter Referent:innen und Schüler:innen. Wir freuen uns bereits auf die Europawoche im Jahr 2022, die dann hoffentlich wieder in Präsenz stattfinden kann. Die Veranstaltungen waren ein ausdrucksvolles Zeugnis der Schulgemeinde für ein vielfältiges, auf Toleranz und demokratischen Werten basierendes Miteinander und für den Mut, Position gegen jede Form gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit zu beziehen.
Text: Birgit Blankenberg, Thorsten Leppek, Philip Wallmeier; Bilder: Wikimedia (16.6.2021)
Veröffentlicht in: Europa